Burnout-Syndrom

Wer die Freude verliert, ist seelisch bereits tief in den roten Zahlen. Burnout ist der Zustand der Insolvenz. 

Wer noch glaubt, ein bißchen Coaching, mal eine Wellnessmassage oder etwas mehr Sport würde sein Problem beheben, wessen Ziel es ist, zurück in den Zustand vor der beginnenden Erschöpfung zu kommen, zurück in das Funktionieren (beschönigend "Leistungsfähigkeit" genannt), der hat sein eigentliches Problem noch nicht verstanden:
Er hat sich selbst verloren. 

Es braucht , bevor die eigentliche Burnout-Behandlung Sinn macht, zwei Schritte: Der betreffende Mensch muss eingestehen, dass er ein grundlegendes Problem hat und sein Leben eine Richtungsänderung braucht, und er muss eingestehen, dass seine Kräfte und Mittel verbraucht sind, dass er Hilfe von anderen braucht. 

Seit 40 Jahren nimmt die Häufigkeit dieser Erkrankung zu. Eine Reihe von Faktoren trägt dazu bei, aus Erschöpfung ein Problem für die Gesellschaft und eine ökonomische Größe zu machen. So gibt eine Schweizer Untersuchung an, dass die Kosten von Burnout 2,5% des Bruttoinlandprodukts ausmachen und ein Viertel der Bevölkerung unter starken Stress-Symptomen im Vorfeld der Erschöpfung leiden, in Finnland sogar 50%, und in Deutschland lassen sich 7% der Arbeitnehmer und -nehmerinnen wegen zu belastender Arbeitsbedingungen vorzeitig pensionieren. 

Die Betroffenen erleben Burnout jedoch als persönliches Problem, meist auch als persönliches Versagen. Längst kein "Luxusproblem" von Führungskräften mehr, kann bei fast jedem die Schere zwischen innerem Anspruch, äußeren Anforderungen, "Belohungen" und den tatsächlichen Kräften und Reserven so auseinandergehen, dass es zum Zusammenbruch kommt. Häufig gibt es eine Vorlaufzeit von vielen Jahren bis zu Jahrzehnten, in denen Raubbau an den eigenen Kräften getrieben wurde. Gefährdet sind besonders Menschen, die mit Lust, Freude und Leistungsbereitschaft bei der Arbeit sind. Denn die Anerkennung durch andere, das ständige Eingebundensein, der Erfolg lassen einen die Warnsignale ignorieren. Tatsächlich ist es ja Teil der Erfolgsstrategie, die inneren Signale von Körper und Seele außer acht zu lassen, zugunsten der erweiterten Leistungsbereitschaft. Die Position zu halten, die Achtung der anderen nicht zu verlieren, das gute Bild von sich als Leistungsträger, als jemandem, der stark ist und mithalten kann, diese Dinge sind über lange Zeit hinweg wichtiger als das tatsächliche eigene Wohlergehen. Die Leistungsansprüche werden durch den Trend der Zeit immer höher geschraubt. Weniger Menschen sollen nicht nur auffangen, was die "freigesetzten" Arbeitskräfte geschafft haben, sondern darüber hinaus Produktivitätssteigerungen erreichen. Arbeitsverdichtung und -beschleunigung sind Tatsachen, nicht nur subjektive Gefühle. Unsitten und Fehlannahmen amerikanischer Konzerne mit deutschen Ablegern haben sich bis in das staatliche Verwaltungswesen ausgebreitet. Subtile oder auch weniger subtile Druckmittel bringen zunehmend selbst Beschäftigte am unteren Rand des Einkommensspektrums unter den Druck, steigenden Anforderungen genügen zu müssen. Die Trennung zwischen Arbeitsleben und Privatleben wird durchlöchert, z.B. durch Emails und ständige telefonische Erreichbarkeit, aber auch, indem die Arbeit zunehmend Fokus von Sorgen und Gedanken werden, die in die "Freizeit" genommen werden. Aber auch in der Freizeit halten Leistungsansprüche und -forderungen oft an, sei es mit Lust, wie beim Sport, sei es mit Frust, wie bei Schwierigkeiten mit Dienstleistern wie z.B. Telefonanbietern. 

Durch diese schleichenden Entwicklungen wird das Burnout letztlich verschlimmert. Denn viel zu lange versuchen die Betroffenen, den steigenden Anforderungen zu genügen, sie kämpfen um ihre Leistungsfähigkeit und ihren Status, und gerade dieser Kampf bringt sie noch mehr ins Defizit der Kräfte. So zieht oft der Körper die Grenze, die die Menschen nicht haben ziehen können. Psychopharmaka, Alkohol und andere Drogen verschlimmern das Problem. Je besser jemand lange Zeit dastand, je kraftvoller jemand dem Druck standgehalten hat, je größer der Kampfgeist und je höher der Selbstanspruch, desto tiefer der Fall. Von "Notbremse" ist oft die Rede, von "plötzlichem Zusammenbruch", "als hätte jemand einen Schalter umgelegt", auf einmal "ging nichts mehr". Grade für aktive Menschen, die hier zum ersten Mal mit ihrer Grenze konfrontiert sind  ist diese Tatsache, dass Körper und Seele sich auf einmal verweigern und keine Willensanstrengung das überwinden kann, eine tiefe Kränkung, die als Scham, dem Gefühl von Versagen und Ohnmacht erlebt wird. Genau diese Dynamik trägt dazu bei, nicht "normal" mit der Erschöpfung umzugehen, sondern nun innerlich zu kämpfen - und dabei kann man nur verlieren, was in eine depressive Abwärtsspirale führen kann. Der Wille mag im Außen weiterbringen, im Inneren gegen die eigene Seele ist der Wille eine extrem zerstörerische Kraft, die einen noch tiefer unter die Grasnabe bringt. So  wird oft  lange verdrängt, dass man nun selbst betroffen ist - manche sind schon monatelang krankgeschrieben und haben die Fakten immer noch nicht akzeptiert.

Wenn die äußeren Strukturen der Persönlichkeit zusammenbrechen, kommt neben dem Gefühl der Ausweglosigkeit alte Themen, vielleicht erstmalig, wieder hoch. Die inneren Schwellen der Abwehr sind niedrig, Unverarbeitetes meldet sich über den Körper, über Gefühle, über Zustände, über Erinnerungen, ähnlich wie bei traumabedingten Einbrüchen. Die ganze Situation fordert Lösungen, aber es ist keine in Sicht. Es scheint nur abwärts zu gehen. 

Letztlich ist das Ausgebranntsein keine Schmach, sondern eine große Chance für das eigene Leben. Eine Grenze wurde erreicht und überschritten, mit der Forderung nach Neuorientierung, der Chance, Altlasten aufzuarbeiten und zu einer inneren Transformation zu kommen, die manchmal in ein neues Leben führt, manchmal auf eine neue Weise in das alte Leben zurück. Dies zu erkennen, und die Erkrankung so für sich zu nutzen, ist auch ein wichtiger Teil des möglichen Heilungsprozesses. Dazu muss man auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Eine ehrliche und ungeschönte Betrachtung des eigenen Werdegangs, der Entwicklung und Ursachen der Problematik sind notwendig, um die eigene Persönlichkeit zu reflektieren und neu zu gestalten. Psychotherapeutische und biographische Aufarbeitung von lange vergessenen und verdrängten Problemen und Belastungen sind meist nötig, um eine neue und bessere Basis in sich selbst, dem wichtigsten Arbeits- und Lebensmittel, zu schaffen. Ein Aufenthalt in einer Reha-Klinik wird dazu die ersten Voraussetzungen schaffen. Hier müssen neben Bewegung, Entspannungsverfahren und viel Ruhe und Zeit zum Nachdenken auch die grundlegenden Einsichten über den eigenen Hintergrund angelegt werden, als neuer Weg, als Route, der in eine andere Zukunft führt, und nicht zurück in das alte Leben. Denn gerade, was früher Erfolg geschaffen hat, muss nun anders gelebt werden. Es muss erkannt werden: weder Körper noch Seele sind unbegrenzt form- und belastbar. Grenzen müssen akzeptiert werden, und Grenzen müssen auch nach außen hin gesetzt und vertreten werden. Das Wort "Nein" in seinen verschiedenen Spielarten muss Teil des aktiven Repertoires werden. "Weniger" ist ein gutes Wort und "Qualität" ein Leitfaden - vor allem die Lebens-Qualität. Der meist lange übergangene Körper muss erst wieder spüren gelernt werden, über Verfahren wie Progressive Muskelentspannung, Yoga und Tai-Chi, und man muss sich das Vertrauen des Körpers verdienen, dass man sich nun gut um ihn kümmern wird und auf ihn hören wird. Atem-Pausen und Ruhe-Zeiten müssen aktiv organisiert werden, sie stellen sich nicht von alleine ein. Es muss verstanden, begriffen und erlebt werden, dass Erholung die Basis für Leistungsfähigkeit ist, und das Willenskraft mehr eine Gefährdung als eine Hilfe ist. Und man muss lernen, wie man damit umgeht, aus dem Bild der anderen, aus den Anforderungen der anderen herauszufallen, in den Augen der anderen "ungenügend" zu werden, um sich selbst genügen zu können. 

Wenn dies gelingt, entsteht eine Neuorientierung. Es kann wieder Freude am Leben wachsen, der Wert des Lebens wird wieder spürbar, die Begrenztheit an Lebenszeit hilft, sich darüber klar zu werden, was wirklich wichtig ist im eigenen Leben. Meist werden die Beziehungen zu den wichtigen Menschen besser: zum Partner, zu den Kindern, und wie werden, ebenso wie die Beziehung zu sich selbst, wichtiger für das eigene Leben. Vom Produktionsmittel entwickelt man sich zurück in Richtung Mensch - als Mensch unter anderen Menschen. Meist wird auch das Verständnis für die anderen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten besser, Intoleranz und Unverständnis werden abgelegt. Der körperliche Zustand kann sich bessern, Gesundheit heißt nicht mehr nur nicht krank zu sein, sondern hat mit Wohlfühlen zu tun. Die Psyche wird ausgeglichener sein, entlastet von alten Konflikten und gepflegt durch Dinge, die gut tun. Ähnlich einem trockenen Alkoholiker muss aber oft auch lebenslang darauf geachtet werden, nicht in die alten Mechanismen zurückzufallen, denn der Druck von außen bleibt oft groß, ebenso die Versuchung, wieder in die alte Illusion der "Machbarkeit" von allem zurückzufallen. Wenn die "Schulden", die am eigenen Körper gemacht wurden, aufgearbeitet werden und ein Lebensrhythmus etabliert wird, der die Kräfte aufbaut und erhält, dann wird auch die Leistungsfähigkeit wieder sehr hoch sein - aber mit einem anderen Gefühl, mit Reflektion,  Leichtigkeit und Grenzen statt Lebenskampf ohne Ende. Je tiefgreifender also die Neuorientierung gelingt, desto besser wird auch das Ergebnis sein. Nur wer etwas gibt, kann erwarten, auch etwas zu bekommen, nur wer einen Weg geht, wird hingelangen, wo er nicht schon war.

 

Links: 

Wikipedia-Artikel

Burnout bei Psychiatrie-Gespräch.de

Private Informationsseite über Burnout

Burnout-Selbsttest

Burn-Out-Forum


Letzte Bearbeitung dieses Artikels am 04.12.201
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